Kontinuität und Neubeginn

Vom Paternalismus zur Zivilgesellschaft

Wenn man die beiden Stiftungsvorgänge und -Urkunden aus den Jahren 1847 und 2018 vergleicht, wird als erste der Gemeinsamkeiten die materielle Ebene deutlich. Zwei Männer stiften aus ihrem persönlichen Vermögen ohne äußeren Zwang aus persönlicher Haltung heraus dem Gemeinwesen zu einem pädagogischen Zweck eine Liegenschaft. Und die zweite Gemeinsamkeit: Das Motiv ist jeweils ein ideelles in der Tradition christlichen Glaubens, der als ethische Grundlage einer stabilen Gesellschaftsordnung gesehen wird. Die Unterschiede zwischen den beiden Stiftungen und Stiftern lassen sich aus ihrer Einbettung in die jeweilige Zeit herausarbeiten.

Fürst Otto-Victor von Schönburg-Waldenburg agierte aus einer väterlichen paternalistischen Verantwortung für seine Unterthanen und für den großen preußischen Staat. Als Fürst im ausgehenden Feudalismus verfügte er privatwirtschaftlich über Mittel, die wir heute eher als öffentliche Mittel charakterisieren würden, die er in persönlicher privater Verantwortung durchaus selbstlos in bildungspolitischer Weitsicht in das öffentliche Gemeinwesen einfließen ließ. Es galt daneben auch, die aufgewühlte vorrevolutionäre Gestimmtheit in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wieder auf eine christlich fundierte Basis zu stellen, und eben auch in klarem obrigkeitsstaatlichen Selbstverständnis.   
Ganz anders der Duktus in der Präambel zur Stiftungsgründung im September 2018. Hier steht statt einer liebevollen paternalistischen Weltsicht die Verpflichtung gegenüber der Zivilgesellschaft im Vordergrund. Im Begriff der Zivilgesellschaft äußert sich die Erkenntnis, dass heutige Gesellschaften auf den autonomen Kräften aus ihrer Mitte heraus aufgebaut sind und diese zivilgesellschaftlichen Kräfte sowohl in Wirtschaft wie auch in der Gesellschaft die ausschlaggebende Dynamik und autonome Verantwortlichkeit begründen, die Gesellschaften erfolgreich machen und voranbringen.

War die Stiftung von 1847 eine Stiftung zugunsten des preußischen Staates, die ihre Gründungsintention durch die staatlichen Akteure insbesondere im preußischen Cultusministerium gesichert sah, ist die Stiftung von 2018 eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts, zwar unter der formalen Stiftungsaufsicht des Landes steht, aber unter dem Rechtsschutz des Stiftungsrechts als autonome und eigenverantwortliche Institution agiert.

War die Stiftung von 1847 noch in eine weltanschaulich und religiös noch geschlossenere Gesellschaft des 19. Jahrhundert gerichtet, betont der Stifter von 2018 einerseits weiterhin die Verankerung in einem „christlichen Welt- und Daseinsverständnis“, erweitert aber die Verpflichtung auf die „Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Religionen“ als „Fundament einer gedeihlichen Gesellschaftsentwicklung“.
Waren die zukünftigen verantwortlichen Akteure für die Droyßiger Anstalten von 1847 in der staatlichen Bildungshierarchie verortet, hat der Stifter mit den Direktoren der beiden kirchlichen Schulstiftungen Repräsentanten des Autonomiegedankens von Schule gegenüber dem staatlichen Apparat  in das Kontrollgremium der Stiftung, dem Stiftungsrat, berufen.

Hat sich aus dem 19. Jahrhundert und bis in die 80-er Jahre des 20. Jahrhunderts das obrigkeitsstaatlich paternalistische Selbstverständnis -sogar bis in die Struktur des direkt unter Margot Honeckers Direktive stehenden Zentralinstituts der Pionierorganisation- fortgeschrieben, sieht sich die Stiftung von 2018 der zivilgesellschaftlichen Kultur der neuen Droyßiger Schule verpflichtet, die hauptsächlich aus der freien Initiative der engagierten lokalen und dem Standort verpflichteten Akteure erwachsen ist. Der durchgängige Erfolg der Schule in den letzten 30 Jahren gründet in dieser Autonomie einer Schulgemeinde, die innerhalb des organisatorischen Rahmens des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands CJD (e.V.) und dessen Unterstützung dieses Grundphänomen von Zivilgesellschaft in gemeinsamer Verantwortung und der Bündelung von immer wieder innovativen Initiativen lebendig und aktiv lebt.  

Von 1847 (bzw. von Aufnahme des Schulbetriebs 1852) an bis zum Ende der Pionierleiterschule 1990 war stets eine Einbindung des Schulstandorts in eine staatlich zentralistische Bildungsstruktur gegeben. Sowohl zu Anstaltszeiten als auch zu Pionierleiterzeiten waren die entscheidenden Vorgaben aus Berlin zu beachten.

Mit der Gründung der CJD Christophorusschule Droyßig 1991 änderte sich diese Einbindung in die staatliche Schulstruktur grundlegend. Die Akteure der Wendejahre waren sich bewusst, dass in einer solchen staatlichen Schulstruktur die christlich geprägte Ausgangsintention nicht explizit verfolgt werden konnte. Insofern war die Suche nach einem christlichen freien Träger für die Wiederbelebung der alten Stiftungsintention die gebotene Strategie. Die freie Trägerschaft entfaltete sich mit dem christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands in doppeltem Sinne als produktive Freiheit. Zum einen sicherte der Träger formal die staatliche Anerkennung der Schule als auch die Freiheit gegenüber der staatlichen Schulverwaltung ab. Freie Trägerschaft im CJD erwies sich aber auch als eine innere Freiheit in der Entwicklung und schrittweisen Ausgestaltung von Schulkonzept und Schulkultur. Vom Träger unbehindert und wohlwollend beobachtet konnte die Schulgemeinde die Traditionslinien der alten Droyßiger Anstalten der ausgeprägten Gemeinschaftskultur in Verbindung mit hohen Ansprüchen an Leistungsbereitschaft und Selbstdisziplin aufgreifen. Das Anliegen des Trägers, umfassende Persönlichkeitsentwicklung in vielfältigen musischen Angeboten, im Focus auf Sport, Bewegung und Gesundheit, mit religiösen und spirituellen Angeboten und mit ausgeprägten Impulsen für politisches Engagement und den dazu notwendigen Freiräumen in einer pädagogischen Praxis umzusetzen, harmonierte bestens mit dem alten Droyßiger Kern – und entsprach insbesondere auch dem, was sich als pädagogische Visionen in der Wendezeit herauskristallisiert hatte. 

Diese innere Freiheit kann als das Erfolgsgeheimnis der Droyßiger Schule(n) identifiziert werden, in der sich die von Graf von Wedel in seiner Stiftungspräambel zitierte Zivilgesellschaft mannigfaltig manifestiert.  Geprägt werden dieses Schulkonzept und Schulkultur nicht mehr aus einem inhaltlichen Wurf wie bei der ersten Stiftung von 1847; sie werden auch nicht geprägt von einer preußischen Bildungspolitik oder sozialistischen Ideologie aus dem fernen Berlin; und sie wurden auch nicht geprägt von einem Ideengeber bei der 1991 Gründung. Schulkonzept und Schulkultur sind aus vielfältigen Ideen in der Hauptsache aus der Kompetenz und Initiativen von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern und kleineren Lehrergruppen, aber auch aus den Initiativen der Schülerschaft und der Eltern gewachsen und weiterentwickelt worden. Sie konnten diese Wirkungskraft gewinnen, weil eine innere geradezu zivilgesellschaftliche  Struktur die dafür notwendigen Freiräume für Initiative und gemeinsames Handeln gewährleistete. So können die Borkumfahrt, die erlebnissportlichen Mittelstufencamps, ausgefallene Sportangebote, Tanzkurs, die politischen Bildungsseminare, das Jugend debattiert Format, unsere Gottesdienstkultur, Klosteraufenthalte, Juventusfest, religionsphilosophische Dolomitenwandertage, Montagsbesinnung, Minute der Stille, besonderes Wirtschafts-Fachprofil, externe Chemielabortage, die hochwertige frühzeitige IT-Ausstattung, ein weiteres Bio-Experimentalkabinett, vielzählige Kleintierpräparate, die besondere und hochdifferenzierte Form der Hochbegabtenförderung, die schon legendäre BigBand und Chor, eine bereits 29 Jahre währende Schulschriftreihe, Theaterarbeit, erfolgreiche Geschichtswettbewerbe, Juniorteacher und Schüler helfen Schülern Projekt, Wir -Projekt, Schulhof- und Schulparkgestaltung, die ausgeprägte Kultur im Umgang mit Schulbüchern, sonderpädagogische Förderstruktur, Schüler-Eltern-Lehrer Subotniks bei Renovierungsarbeiten, ausgeprägte Berufsorientierung, eigene Disziplinarordnung, die internationale Beziehungen und Austausche … all das und immer noch nicht vollständig Aufgezähltes lässt sich einzelnen Initiatoren oder Aktionsgruppen ganz direkt zuordnen. (Dies dürfte noch ein eigenes lohnenswertes Aufgabenfeld für die Schulgeschichte werden.)

So korrespondieren die 2. nun zivilgesellschaftlich motivierte Stiftungsidee und die innere Gestaltungs- und Verantwortungskultur der CJD Christophorusschulen Droyßig als hochmoderne und effektive Antwort auf die Herausforderungen des 21.Jahrhunderts.